Hi! Ich bin Leetha, die Prinzessin der hellen Seite des Mondes. Seit 50 Jahren führen wir Krieg gegen das andere Reich, Tenebris, das auf der dunklen Seite liegt. Obwohl ich nie dort war, kenne ich die schrecklichen Geschichten, die man sich über Tenebris erzählt. Auch ihren König, Xaver, kenne ich seit meiner Kindheit, denn als wir noch klein waren, gab es Frieden. Aber das ist schon ein paar Jahrhunderte her. Jetzt, im Alter von fast sechshundert Jahren, soll ich plötzlich heiraten, weil nicht nur an den Grenzen Krieg herrscht, sondern auch im Inneren des Reiches. Das einfache Volk lehnt sich zunehmend gegen die Herrschaft meines Vaters auf, und will unsere Familie zu Fall bringen. Auch mich hassen sie. Sie nennen mich arrogant, eitel, kaltherzig. Der einzige Weg, die Rebellen zu besänftigen, wäre die Hochzeit mit einem einfachen Soldaten: dem Schattenjäger, den ich nie zuvor gesehen habe und der vom Volk geliebt wird.

Leseprobe
Kapitel 4 – Caidan
Ich hatte mir Leetha komplett anders vorgestellt. Dass sie wunderschön war, wusste ganz Meridem, und das war auch schon alles, was der Wahrheit entsprach. Sie war nicht nur eine richtige Meridemerin mit hellen Augen und langem, silbernem Haar, nein, es war mehr als das. Ihr ganzes Auftreten, ihre Anmut und die Eleganz, mit der sie sich bewegte, ließ sie nicht nur königlich, sondern auch sexy wirken. Ihre Art zu gehen, war eher ein Gleiten. Ruhig und gelassen setzte sie einen Fuß vor den anderen, und strahlte mit jeder Bewegung ein Selbstbewusstsein aus, dass sie noch reizvoller machte. Schon als ich sie im Thronsaal das erste Mal sah, fiel es mir schwer, sie nicht sofort anzustarren. Aufrecht und mit geraden Schultern, saß sie auf dem Thron neben ihrem Vater, während das Sonnenlicht in ihren Augen funkelte.
Jedoch konnte ich die Kaltherzigkeit und die Arroganz, die man ihr nachsagte, nur zum Teil nachempfinden. Etwas hochnäsig, ja, aber herzlos? Nein, das glaubte ich nicht. Verschwenderisch würde es eher treffen, aber das galt für den gesamten Palast und für diese Stadt. Es war nicht zu übersehen, dass Leetha schöne Dinge liebte: Kleider, Schuhe, selbst in ihrem Haar trug sie Schmuck, der wahrscheinlich mehr kostete als mein Jahresgehalt. Aber vielleicht kannte sie es nicht anders. Immerhin hatte sie zugegeben, dass sie nie die Annehmlichkeiten einer großen Stadt oder einer reichen Provinz verlassen hatte. Möglicherweise wusste sie nicht einmal, dass es in ihrem Reich Orte gab, an denen Kinder verhungerten. Nachdem ich sie kennengelernt hatte, schätzte ich sie nicht wie eine Frau ein, der eine solche Erkenntnis egal wäre. Zudem hielt ich noch nie große Stücke auf das Geschwätz der Leute. Auch wenn ich zugeben musste, dass ich neugierig auf sie war, nicht nur, weil ich als Heiratskandidat infrage kam, sondern auch darauf, wer diese Prinzessin war, über die jeder herzog.
Der Tag mit ihr war so ungezwungen und lustig gewesen. Ich war froh darüber, mir selbst ein Bild von ihr zu machen, anstatt auf die Gerüchte zu hören, denn die meisten Leute, die über Leetha Aeterna sprachen, hatten sie nie zuvor gesehen. Ich schon. Und ich wurde positiv überrascht. Es war lange her, dass ich mich so gut mit einer Frau unterhalten konnte und auch, dass ich mit einer Frau so viel Spaß hatte. Es gab durchaus Kriegerinnen in der Armee und auch die Frauen bei den Zivilisten waren nicht abgeneigt von mir, doch um so weit zu kommen, wie ich es geschafft hatte, durfte ich mich nicht an eine Frau binden. Nicht, wenn ich nie wusste, ob ich von der nächsten Mission nach Hause kam. Mein Vater war Soldat gewesen. Zwar gab es damals keinen Krieg, sondern eine lange Friedensperiode, doch ich hatte ihn nie gesehen und meine Mutter blieb monatelang allein mit uns Kindern. Ich wusste also, was es bedeutete, als Soldat eine Familie zu haben. Geliebte hin oder her, auf eine ernsthafte Beziehung hatte ich mich nur ein einziges Mal eingelassen und auch nicht daran gedacht, es jemals wieder zu versuchen.
Obwohl es schwer war, hinter Leethas Fassade zu blicken, erkannte ich einen Teil von ihr, den anscheinend nicht viele sahen. Sie schien hin- und hergerissen zu sein, zwischen der Person, die sie vorgab zu sein, und der Frau, die sie sein wollte. Leetha überraschte mich mit allem, was sie sagte und was sie tat. Ihr Verblüffen über mein Geständnis, dass ich nicht lesen konnte, war nicht zu übersehen, jedoch hatte sie mich nicht dafür verurteilt. Im Gegenteil, sie hatte mir in der Bibliothek sogar vorgelesen. Diese Frau wollte sich mir öffnen, das wusste ich. Und ich wurde zunehmend gespannt darauf, was ich noch über sie erfahren würde.
Möglicherweise hatte Vestas recht, und ich könnte etwas verändern. Vielleicht könnte ich schon etwas erreichen, wenn ich Leetha änderte. Sie war nicht die Frau, die vor allem die Augen verschloss, weil sie es wollte, sondern weil sie es nicht anders kannte. Noch hatte sie zu große Angst davor, was andere von ihr hielten und was man über sie denken könnte. Es wäre ein hartes Stück Arbeit, sie auf unsere Seite zu ziehen, aber das war es wert. Wenn sie und ich etwas bewirken könnten, dann wäre sie es wert!
Ich klopfte an Lord Vestas Gemach, der mich auf ein Gespräch zu sich zitiert hatte.
»Einen Moment noch!«, ertönte seine Stimme.
Ich wartete im Flur und sah mich um. Wie sehr ich diesen Prunk hasste. Verschwendung, egal wohin man sah. Der Palast hatte mehr Luxus als all die Städte und Provinzen, die ich gesehen hatte, zusammen. An den Wänden hingen Teppiche aus den feinsten Stoffen, Gemälde, Fackelhalter aus Gold und Silber. Selbst die Wachen in Claritas waren weitaus besser ausgestattet als jeder Soldat an der Grenze. Ihre Waffen bestanden aus dem besten Stahl, ihre Kleidung aus den robustesten Stoffen. Seit ich in Claritas angekommen war, bemerkte ich diese Maßlosigkeit. Die Händler auf den Straßen zeigten lediglich die schönsten Früchte, ohne Makel, ohne Schrammen, und im Palast sah es nicht anders aus. Selbst die Tiere in den Ställen hatten mehr zu essen als Niedergeborene außerhalb der Städte. Wut stieg in mir auf.
Ein Wachmann kam aus Vestas Gemach. »Du kannst rein, Schattenjäger!«, sagte er trocken.
Noch einmal klopfte ich an, weil es der Anstand so besagte.
»Herein!«, rief Vestas. Als ich hineintrat, sah er nicht vom Schreibtisch auf. Zahlreiche Papiere und Briefe lagen ausgebreitet auf seinem Pult, über das er sich nachdenklich lehnte. Ein paar Schritte trat ich näher. Er wusste, dass ich nicht lesen konnte, und versuchte gar nicht erst, seine Korrespondenzen vor mir zu verbergen.
Respektvoll blieb ich vor seinem Pult stehen und wartete auf weitere Anweisungen.
»Und? Wie verlief es?«, fragte er und sah mich noch immer nicht an.
»Sie hat mir die Stadt gezeigt«, entgegnete ich knapp.
Er sah auf, direkt in meine Augen: »War das alles?« Sein Blick wühlte mich wie immer innerlich auf. Etwas lag in seinen Augen, ich konnte nicht genau sagen, was. Vielleicht war es eine Strenge, wie ich es nur aus dem Militär kannte. Aber noch etwas anderes mischte sich darunter. Etwas Unberechenbares, etwas, das einem wie mir, der voll und ganz von ihm abhängig war, einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
Ich schüttelte den Kopf: »Sie hat einer Heirat zugestimmt.«
Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht, und die Kälte in den Augen verflog für einen kurzen Moment: »Du bist besser als ich gedacht hätte, Schattenjäger.«
Ich zuckte mit den Schultern: »Leetha ist ein nettes Mädchen.«
»Das ist sie. Mit ihr und dir wird sich bald schon einiges ändern«, versprach er mir nicht zum ersten Mal.
»Noch ist sie nur die Prinzessin«, sagte ich zögernd und fragte mich, ob ich das Recht hatte, es anzusprechen.
»Noch … Das kann sich schneller ändern, als du denkst. Und dann, werden wir die Welt verändern!« Was meinte er mit schneller, als ich dachte? »Du musst ihr nur weiterhin schöne Augen machen und sie um den Finger wickeln. Um alles andere kümmere ich mich«, sprach er weiter, während er sich in seinem Sessel zurücklehnte und die Hände vor dem Bauch faltete.
»Darf ich fragen, was Ihr damit meint?«
»Na unsere Pläne, mein Junge! Meridem wird sich verändern. Alles wird sich verändern. Du musst Leetha davon überzeugen, was gut für ihr Volk ist und sie wird es tun, wenn sie dich nur genug liebt. Also sorge dafür, dass du sie in jeder Weise …«, er machte eine Pause und musterte mich von oben bis unten, »… befriedigst.« Eine Wärme stieg mir ins Gesicht, die verriet, dass ich errötete. Unter den Soldaten war es nicht unüblich, über Frauen auf eine wirklich herablassende Weise zu sprechen, doch vor ihm geriet ich in Verlegenheit. Immerhin handelte es sich um seine Nichte. »Wenn du verstehst, was ich meine.« Er zwinkerte mir zu. »Ich nehme an, ein hübscher Kerl wie du hat Erfahrung auf diesem Gebiet?«
Ich nickte etwas zurückhaltend.
Vestas klatschte in die Hände: »Und ehe du dich versiehst, wird sie dich zum König machen.«
»Ich bin kein Vollwertiger«, erinnerte ich ihn. Das seltsame Gefühl beschlich mich, mich am heutigen Tag zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Ich sollte einfach meinen Mund halten und nur noch nicken.
»Nein?« Gespielt verdrehte er die Augen und hob die Hände in die Luft. Seine Stimme wurde lauter, aber nicht auf eine strenge Art. »Ich auch nicht! Und sieh, was ich erreicht habe! Die Zeit ist da, Caidan. Es wird sich schon bald einiges ändern, sobald ihr beide verheiratet seid und der König … na, sagen wir mal, aus dem Weg geräumt ist.«
Ich erschrak nicht über diese Worte. In meiner tiefsten Seele war ich ein Soldat und das wusste Vestas. Brutalität und Mord waren mir nicht fremd, auch wenn Königsmord etwas riskant werden würde. Intensiv betrachtete ich den Mann vor mir, den ich mehr als alles andere auf der Welt respektierte. Lord Vestas, nannte man ihn hier in der Burg, obwohl er nicht einmal ein richtiger Lord war. Doch ich kannte ihn unter einem anderen Namen. Einen Namen, den ich seit meiner Kindheit verehrte und zu dem ich aufsah: Erwin Greer. Nicht umsonst hatte ich den Namen vor Leetha erwähnt. Ich wollte wissen, wie sie darauf reagierte. Leider hatte auch ich bereits die Gerüchte gehört, dass ich Erwin Greer sein sollte. Aber ich war es nicht und ich wollte wissen, ob Leetha diese Gerüchte ebenfalls kannte. Doch so, wie sie reagierte, hatte ich keinen Zweifel daran, dass sie weder mich noch Vestas für diesen Rebellen hielt. Vielleicht glaubte sie nicht einmal, dass es ihn wirklich gab.
Nicht viele wussten, wer Greer wirklich war, welches Gesicht er trug oder wer die Gelder für die Aufstände und die Rebellen stellte. Doch ich wusste es. Ich arbeitete mit ihm zusammen und ich würde sein Geheimnis mit in den Tod nehmen. Vestas war der Einzige, der sich dazu herabließ, die Provinzen außerhalb der Städte zu besuchen, die Jungen und Mädchen zu ermutigen, ihre Stimmen zu erheben und gegen die Etikette und das ungerechte System zu rebellieren. Unter seinem Pseudonym hatte er Tausende von Familien vor dem Hunger gerettet und Jungen, wie ich einer war, eine Chance in der Armee gegeben. Er hatte mich zu dem gemacht, der ich heute war. Und noch mehr. Vestas wollte mich bis ganz nach oben bringen. Meine Söhne würden eines Tages dieses Reich beherrschen und das System stürzen. Ohne ihn wäre ich nichts, ein Niemand, vielleicht wäre ich nicht mehr am Leben, wenn Erwin Greer mich nicht gerettet hätte. Ich stand tief in seiner Schuld. Zu tief!
»Von nun an, Schattenjäger, möchte ich jeden Tag einen Bericht von dir bekommen, wie es mit Leetha lief«, befahl er.
»In Ordnung.«
Schließlich kramte er etwas aus seiner Schublade und übergab mir eine kleine Schachtel.
»Was ist das?«
»Öffne es.«
Ich öffnete die Schachtel und darin befand sich ein einfacher Ring aus Silber mit einem Steinchen. Ich grinste Vestas an: »Macht Ihr mir einen Antrag, Lord Vestas?«
»Sei nicht albern!«
Ich verstummte sofort.
»Der ist für Leetha. Gib ihn ihr, damit du nicht dastehst wie ein mittelloser Idiot!«
Ein einfacher Ring. Wie sollte ich nicht wie ein mittelloser Idiot dastehen? Immerhin handelte es sich um eine Prinzessin. Um die Thronerbin.
Vestas schien meine Gedanken zu erraten: »Wenn er größer und teurer gewesen wäre, wäre sie schlau genug zu erkennen, dass nicht du ihn bezahlt hast. Sag ihr, du hast ihn auf einem Markt gekauft oder so.«
Ich nickte erneut. Aber eine gute Sache hatte es. Wenn sie diesen einfachen Ring bekäme, könnte ich feststellen, wer sie wirklich war. Zwar konnte ich nicht die Schrift lesen, wohl aber einen Gesichtsausdruck. Als Soldat achtete ich auf jede Gestik und Mimik, wie klein sie auch sein mochten. Wenn sie über diesen Ring enttäuscht wäre, wusste ich, dass ihr materielle Dinge wichtiger waren als andere. Wenn nicht, gab es wirklich Hoffnung.
Zurück in meinem Gemach musste ich lächeln, als ich an ihren Besuch dachte. Ich werde dich heiraten! Immerhin war sie für Überraschungen gut. Es würde also nicht langweilig mit ihr werden.